NATO am Pranger
Die Demonstrationen gegen die NATO mündeten heute in extreme Gewalt auf beiden Seiten.
Von Nina Brenthäuser (2009-04-04)
Wie mehrere Nachrichtenagenturen, Radio und TV heute nachmittag meldeten, eskalierten die Demonstrationen gegen den NATO-Gipfel. So wurde ein unweit der von Kehl über den Rhein führenden Europabrücke ohnehin zum Abriß vorgesehenes Zollhäuschen in Brand gesetzt. In Straßburg zündeten Vermummte ein Hotel der Ibis-Gruppe an, das völlig ausbrannte.
Ob sich unter den Vermummten auch amtliche Agents provocateurs befanden, die die Eskalation möglicherweise angzettelt hätten, ist bisher nicht bekannt geworden. Neu wäre dies nicht. Bereits beim G-8-Gipfel in Heiligendamm (2007) waren Provokateure deutscher Dienste im Einsatz, um friedliche Demonstranten zur Gewalt anzustacheln.
Daß es zu Ausschreitungen während der NATO-Tagung kommen könnte, war bereits seit Tagen absehbar gewesen. So hatten Polizei und Behörden am gestrigen Freitag mehrere Kilometer "kippsichere Absperrungen" in Baden-Baden zu Lasten der dort heimischen Bevölkerung aufgestellt und um 5.000 Sicherheitskräfte aufgeboten.
Zudem versagte die deutsche Bundespolizei mit fragwürdigen Begründungen mindestens vierzig Demonstranten die Ausreise nach Frankreich, wie die Tageszeitung junge Welt in ihrer Freitagsausgabe im Rahmen eines Interviews mit dem Heidelberger Rechtsanwalt Martin Helming konstatierte.
Keine Frage, die Nerven liegen auf beiden Seiten blank. Bei den Demonstranten insgesamt, vor allem aber bei den französischen, dürfte ein Kübel voller Wut vorhanden sein. Zuviel auf einmal ist in den vergangenen Wochen zu Lasten der Bevölkerungen politisch und wirtschaftlich geschehen, als daß alles mit stoischer Ruhe hingenommen würde.
Hilflose, kosmetische Maßnahmen der Regierungen gegen die systemische Finanz- und Kapitalismuskrise, die jüngst erst - auf dem G-20-Gipfel in London - zu einer gigantischen Umverteilung von Steuergeldern und Schuldenaufnahmen zugunsten der Finanzbranche führten - bei gleichzeitiger Absage an weitere Konjunkturprogramme - sind geeignet, Wut im Volk zu entfachen.
Diese sich mittlerweile entladende Wut ist auch eine, die auf die strukturelle und strategische Wandlung der NATO zielt, die während des Kalten Kriegs noch als Verteidigungsbündnis ihre Daseinsberechtigung mühelos hatte kommunizieren können.
Doch seit der Bombardierung auf dem Balkan, die unter der ersten rot-grünen Bundesregierung nach vorheriger Täuschung der Öffentlichkeit mittels konstruierter Bilder und falscher Behauptungen des ehemaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping (SPD; heute Präsident des Bundes deutscher Radfahrer) im März 1999 begann, ist die NATO ein militärisches Angriffsbündnis. Ohne völkerrechtliche Anerkennung. Zudem befindet sie sich unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika seit dem Herbst 2001 im Krieg mit Afghanistan.
Die neue strategische Ausrichtung dieses Militärbündnisses, das die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenso wie der französische Präsident Nicolas Sarkozy und alle in der NATO vertretenen Nationen unkritisch verfolgen, heißt Prävention. Im Klartext bedeutet dies, daß die NATO künftig als weltweite schnelle Eingreiftruppe in alle Staaten - übrigens auch in die ihrer Mitglieder - einrücken oder sie aus der Luft bombardieren könnte, wenn Not am Mann wäre.
Was die Demonstranten in Kehl und Straßburg treibt, ist die Angst vor einem faschistoiden Militarismus unter dem Mäntelchen der Demokratie. Was sie erfahren, ist Gewalt seitens des Staates.
© Nina Brenthäuser
© GeoWis (2009-04-04)