The Magician did it again
Seit Even Cowgirls get the Blues, deutsch unter dem ziemlich dämlichen Titel Sissy, Schicksalsjahre einer Tramperin, hat Tom Robbins weltweit eine ständig wachsende Zahl an Lesern gefunden. Nun liegt sein neues Buch B Is for Beer vor.
Von Wolfgang Körner (2009-04-24)
Erfreulicherweise sind sämtliche Titel des amerikanischen Kultautors Tom Robbins (*1936) auch hierzulande in Taschenbuchausgaben des Rowohlt Verlags nach wie vor lieferbar. Das überrascht, denn austauschbare Massenware, Bücher für Idioten, hat Robbins nie geschrieben.
Seine Protagonisten, stets unangepaßte Outsider, entziehen sich geschickt den Zwängen der Erwerbs- und Konsumgesellschaft. Von 'Sissy', die sich durch ihren übergroßen Daumen zum Leben als Anhalterin berufen fühlt bis hin zu Salome, Kellnerin in einem jüdisch-arabischen Restaurant, die den Nahostkonflikt durch ihren Schleiertanz zu lösen versucht, führen die Romanfiguren dieses Autors das puritanische Erwerbsstreben und die Lustfeindlichkeit in den USA ad absurdum.
Dabei kämpfen sie nicht. Wie sich die Nadel eines Kompasses immer nach Norden richtet, steuern sie ihr Lebensschiff stets in Richtung größtmöglicher Lust. Kein Wunder, daß Robbins mit dieser Lebenshaltung zum Kultautor der Jungen und jung gebliebenen Alten wurde, die seine Lebensklugheit, literarische Kreativität und unübertrefflichen Sprachspiele schätzen.
Logisch, konventionell realistisch auf den ausgelatschten Mittelwegen der Literatur zu wandern, ist Robbins Sache so gut wie nie. Seine überschäumende Phantasie setzt die Schwerkraft des so Vertrauten wie Langweiligen regelmäßig außer Kraft.
Wenn eine Bohnenkonserve, ein Teelöffel und eine vereinsamte Socke Jerusalem erreichen wollen, dürften die meisten John Updike- und Philip Roth-Leser das Buch zur Seite legen. Bitte! Für sie schreibt Tom Robbins gewiß nicht.
Dabei soll nicht verschwiegen werden, daß auch diesem Magier ein Kunststück mal mißlingen kann. Sein Roman Villa incognito, durch den seltsame Halbaffen aus der japanischen Mythologie toben und desertierte US-GIs in Laos einen schwunghaften Handel mit Heroin betreiben, gilt auch unter Robbins-Fans als erheblich vermurkst.
Nunmehr ist diese schöpferische Krise offensichtlich überwunden. Mit B Is for Beer liegt ein schmales Werk vor, das die Befürchtung widerlegt, der Einfallsreichtum des Autors wäre inzwischen erschöpft.
Ein Kinderbuch für Erwachsene, ein Erwachsenenbuch für Kinder, nennt Tom Robbins im Untertitel diese Geschichte. Auf den ersten Blick - ziemlich ungewöhnlich für ein Kinderbuch - geht es dabei nahezu ausschließlich um Bier. Ein Thema für ein Sachbuch wäre derlei für andere Autoren. Tom Robbins gewinnt dem mit Hopfen vergorenen Gerstensaft faszinierende Bilder und Sprachspiele ab, was nicht zuletzt an der Zentralfigur Gracie Perkel liegt.
Fünfeinhalb Jahre ist diese Göre alt und besteht darauf, "fast sechs" zu sein. Ihr Onkel Moe läßt sie einen winzigen Schluck aus seiner Bierdose kosten, und die Neugier des intelligenten Kindes ist geweckt. Die geplante heimliche Besichtigung einer Brauerei muß leider verschoben werden, weil dem liebevollen Onkel eine riesige Bierdose auf den Fuß fällt. Doch wo ein Wille ist, findet sich für Gracie immer ein Weg.
Als sie sich an ihrem Geburtstag eine Dose Bier aus dem Kühlschrank angelt und sie austrinkt, fällt ihr zwar der Mageninhalt auf den Teppich, aber sie macht die Bekanntschaft mit der winzigen Bierfee, die sie mit auf eine Reise durch die Welt des Biers nimmt. Die Dialoge zwischen dieser Fee und dem wißbegierigen Kind sind die einfühlsamsten und liebevollsten, die ich seit langem gelesen habe.
Es ist keine Anmaßung und Robbins greift nicht zu hoch, wenn er in einem der Dialoge kurz auf Lewis Carrolls Alice in Wonderland verweist. Gracie in Beerland wäre auch ein treffender Titel für diese bezaubernde, intelligente Kindergeschichte gewesen. Leider liegt sie bislang in keiner deutschen Übersetzung vor.
© Wolfgang Körner
© GeoWis (2009-04-24)
Tom Robbins: B Is for Beer. A Children’s Book for Grown-ups. A Grown-up Book für Children. Hardcover ohne Schutzumschlag, 130 S., ISBN 978-0-06-168727-3. Ecco, Harper Collins, New York, 21. April 2009.